Der wertvollste Schatz in einem Unternehmen ist sein Wissen! Was wären Unternehmen ohne ihre Rezepturen, ihre Fertigungsverfahren, ihre Patente, etc.? Dieses Wissen wird meist gehütet und weitergegeben. Aber was ist mit dem Wissen, was an einem Mitarbeiter, seiner Expertise, seiner Ausbildung, seiner Erfahrung hängt? Was ist mit dem Wissen, was "einfach genutzt" wird und welches das Unternehmen zum Überleben braucht? So manches Unternehmen musste schon feststellen, dass nicht jeder Mitarbeiter oder jede Mitarbeiterin einfach ersetzt werden kann.
Es gibt zahlreiche Versuche, das Wissen in den Unternehmen zu halten:
Aber all das hilft nur mäßig bis gar nicht. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, denen ich in diesem Artikel auf die Spur kommen möchte.
Je mehr Hierachien in einem Unternehmen etabliert wurden, umso weniger weiß jede einzelne Hierachiestufe bis hin zur Geschäftsführung. Auf dem Weg von der großen Gruppe der Wissensträger verliert sich die Spur über den Teamleiter, den Bereichsleiter, den Standortleiter, den Regionalleiter, den Leiter XY bis zur Geschäftsleitung.
Haben Sie in der Kindheit mal "Stille Post" gespielt? Erinnern Sie sich an das Ergebnis? Es kam nie, auch nicht bei zwei oder drei Weitergaben das an, was am Anfang gesagt wurde. Wie soll das funktionieren, wenn fünf, sechs oder noch mehr mitspielen?
Oder nehmen Sie einmal Zeugenaussagen. Es ist bekannt, dass wir Menschen zwar auf dasselbe Ereignis sehen, aber nicht einmal dasgleiche aussagen.
Und doch ist es tägliche Praxis in den Unternehmen - auch in denen mit "flachen" Hierachien (wobei hier vermutlich noch mehr ankommt, als bei allen anderen).
Je mehr Hierachieebenen in einem Unternehmen existieren, umso länger brauchen Entscheidungen. Oder sie werden gar nicht erst getroffen, weil die Anfragen nicht ankommen. Je weniger an der Basis entschieden werden darf, umso weniger kann spontan umgesetzt werden, wenn es gerade notwendig ist.
Stellen wir uns einmal vor, ich hätte eine wirklich bahnbrechende Idee, die das Unternehmen nach vorne bringen würde. Stellen wir uns weiter vor, ich wäre bereit, diese Idee überhaupt zu äußern und reiche diese nun an meinen Vorgesetzten weiter. Der direkte Weg zur Geschäftsführung ist ja nicht möglich.
Nun entscheidet mein Vorgesetzter je nach seinem Ego, sprich nach seinen Interessen und Befindlichkeiten, ob er meine Idee weiterleitet. In den meisten Fällen wird eine Idee mündlich weitergegeben, die dann in dem nächsten Meeting "mal angesprochen" wird - also stille Post. Wenn der Vorgesetzte mich aber z.B. nicht ernst nimmt oder den Erfolg für sich verbuchen möchte oder mich einfach nur ausbremsen will, wird er oder sie entsprechend handeln. Jede Hierachiestufe verfolgt immer die eigenen Interessen! Diese eigenen Interessen entscheiden oft über die Zukunft eines Unternehmens. In den allermeisten Fällen sind diese Interessen eigennützig und nicht unternehmensorientiert. Keiner bekommt es mit. Abgesehen davon denkt nicht jede Führungsebene im Sinne des Unternehmens oder meint es sogar besser zu wissen. Andere haben aufgegeben, weil ohnehin nichts passiert. Sie mögen jetzt aufschreien, aber es ist durchaus menschlich und keiner ist davon frei.
Wenn meine Idee eine Hierachieebene geschafft hat, beginnt das Spiel von vorne. Die Idee ist vielleicht gerade nicht dringend, wird vielleicht sogar vergessen oder direkt in den Papierkorb geworfen. Bloß nicht noch mehr Arbeit.
Tja, was passiert? Die bahnbrechende Idee für das Unternehmen ist versandet. Eine Rückmeldung bekomme ich nicht oder es wird mir eine Ausrede aufgetischt. Man will ja schließlich nicht der Schuldige sein. Was mache ich in Zukunft? Richtig - ich halte meine Klappe! Und nehme meine bahnbrechende Idee mit zur Konkurrenz und hoffe, dass es dort anders läuft. Schade eigentlich.
Im besten Falle wäre die Idee bis zur Geschäftsführung durchgedrungen. Die Zeit hat aber dafür gesorgt, dass diese bahnbrechende Idee nun keinen Nutzen mehr hat. Wie viele Ideen werden dadurch wohl ungehört im Unternehmen versickern?
Und bitte nicht vergessen - die Wege gehen auch genauso zurück und durchlaufen wieder alle Stufen des einzelnen Egos.
Eines der ersten Wörter, die wir als Kind sehr schnell verstehen ist das Wort "meins"! Dieses Wort bleibt uns offenbar hartnäckig erhalten. Gerade in Unternehmen wird dieses Spiel intensiv gespielt. Eigentlich werden doch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingestellt, um deren Wissen, deren Erfahrungen und Fähigkeiten ins Unternehmen zu integrieren. Frischer Wind von außen, sozusagen. Das ist mehr als notwenig, wenn ein Unternehmen auf dem Markt bestehen will.
Was passiert? Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Bloß nicht zuviel Wissen preisgeben. Man könnte ja ersetzt werden. Ehrlich? Wer es bislang noch nicht verstanden hat, jeder ist ersetzbar. Die Frage ist, zu welchem Preis? Denn zahlen wird das Unternehmen.
Aber es geht ja nicht nur um das Wissen, was ich mitbringe. Nein, das Unternehmen schickt auf Fortbildungen. Der Mitarbeiter erhält neues Wissen. Aber auch dieses Wissen wird gehortet. Nur das Nötigste den Kollegen mitteilen, wenn es nicht anders geht. Denn die eigene Position muss wohl gehütet werden. Oder es gibt gar keinen Raum, um dieses Wissen weiterzugeben. Der Alltag schluckt das neue Wissen, was noch nicht einmal richtig integriert werden konnte. So wird viel Geld für Schulungen ausgegeben, die nachher keinen Effekt haben.
Wenn der Abschied naht, soll im besten Fall eine Einarbeitung der Nachfolge stattfinden. Oft findet diese aus verschiedenen Gründen nicht statt. Was passiert? Die Nachfolge muss sich mühsam in den neuen Aufgabenbereich einarbeiten und bekommt wieder Schulungen. Vielleicht sogar die gleichen wie der Ausgeschiedene.
Noch trauriger ist, dass die tatsächlichen Experten für ein Thema oft gar nicht bekannt sind. Somit wird redundantes Wissen aufgebaut, anstatt das vorhandene Wissen zu nutzen. Die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind meist gar nicht bekannt und fließen somit auch gar nicht direkt ins Unternehmen mit ein. Man kann es sich wie viele kleine verstreute Inseln im Ozean vorstellen. Ab und an geht mal ein Fährschiff, aber meist ist die Verbindung unterbrochen.
Sowie Führungskräfte Mitarbeiter und MitarbeiterInnen auflaufen lassen können, geht das noch besser umgekehrt. Dienst nach Vorschrift, schon einmal gehört? Davor wird auch keine Kontrolle der Belegschaft schützen. Hier wird nicht nur die Arbeit auf ein Notwendiges beschränkt. Sehr oft wird Wissen zurückbehalten. Sollen die doch selbst sehen, wie sie voran kommen. Der Spiegel schreibt:
Der Anteil derer, die keine emotionale Bindung aufweisen und bereits innerlich gekündigt haben, liegt der Studie zufolge bei 18 Prozent; 2021 waren es noch 14 Prozent.
Wie auch bei den Krankheitszahlen ist die Zahl derjenigen, die innerlich gekündigt haben, angestiegen. Diese Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bringen ganz sicher kein Wissen mehr in das Unternehmen und werden es erst recht nicht teilen.
Dann kommen wir noch zu denen, die es anfangs geteilt haben. Warum tun sie es irgendwann nicht mehr? Ganz einfach: Entweder sie wurden immer wieder vertröstet, nicht gehört, nicht gewertschätzt, abgelehnt oder ähnliches. Irgendwann machen die Schotten dicht. Wenn dann plötzlich jemand etwas wissen möchte, gibt es keine sprudelnden Ideen mehr. Diese sind erstickt oder abgewürgt worden.
Unsere Gesellschaft ist förmlich getrieben von Effizienz und noch mehr Effizienz und noch mehr Effizienz. In Zeiten der Industrialisierung wurden Arbeitsprozesse in kleinteilige Arbeitsschritte geteilt. Jeder übernahm immer nur einen Teil und dieses 365 Tage im Jahr. Man kam vielleicht noch auf die Idee einem Mitarbeiter ein paar unterschiedliche Teilschritte abwechselnd zuzuweisen, damit er nicht ganz so schnell ermüdet. Gleiches Szenario hat sich auf die Büros ausgedehnt. Prozesse werden in Management Handbüchern beschrieben und möglichst effizient von den Mitarbeitern abgearbeitet. Eine Stellenbeschreibung (wenn es sie gibt), beschreibt, was zu tun ist. Der Aufgabenbereich ist meistens fest definiert und wird nur dann überschritten, wenn Personal an anderer Stelle wegfällt und diese Arbeit aufgefangen werden muss. Das Tagesgeschäft ist so voll, dass eine Abweichung von den vorgegebenen Aufgaben innerhalb der Prozesse nicht möglich ist. In manchen Abteilungen wird auch noch nach der Uhr gearbeitet, um dem Kunden zu zeigen, dass man alles im Griff hat.
Die damit einhergehenden Probleme sind zahlreich und kostspielig für ein Unternehmen (Einflüsse auf den Umsatz in Unternehmen)
Wissen aufzunehmen, Wissen zu verarbeiten und Wissen optimal einzusetzen, ist wie ein Muskel. Wer ihn nicht regelmäßig trainiert, verliert an Volumen und Kraft. Wer tagein und tagaus immer dieselben Arbeitsschritte und Aufgaben hat, verliert ursprünglich Erlerntes. Wer kann sich noch an das umfangreiche Wissen seines Studiums oder seiner Ausbildung erinnern? Das Lernen als solches fällt zunehmend schwerer, weil es nicht regelmäßiger Bestandteil des täglichen Tuns ist. Neue Ideen oder gar Kreativität werden komplett erstickt, weil es keinen Raum dafür gibt.
Stellen Sie sich vor, Sie tragen jeden Tag ein festgeschnürtes Korsett. Tun Sie nicht? Doch, die meisten ziehen es jeden Tag von neuem an und ersticken förmlich. Sie bekommen keine Luft zum freien Atmen. Mit dem Korsett verschwinden unsere Visionen, unsere Ziele, unsere Hoffnungen und Wünsche und irgendwann unsere Identität. Die Folge: Krankheit, Erschöpfung, Burnout. Aber nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für das stocksteife Unternehmen, was sich nicht mehr bewegen kann, weil es in sich erstarrt ist.
Ja, aber wir stellen ja deshalb neue Menschen ein, die frischen Wind ins Unternehmen bringen sollen. Gute Idee! Aber auch diese werden sofort wieder in ein Korsett gezwungen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ebenfalls erstarren.
Nichts gegen ein Studium und auch nicht gegen diejenigen, die diesen Weg gehen. Aber es ist unverständlich, wie Unternehmen mit diesem Konstrukt umgehen, da sie sich damit extrem einschränken und wertvolles Wissen leugnen, ignorieren oder gar ablehnen. Ich selbst habe über eine fünfjähige einschlägige Berufserfahrung den Zugang zum Fachwirt für betriebliches Management (gleichgestellt mit dem Bachelor) genutzt. In einem abendlichen Studium an der Fachhochschule habe ich dann BWL studiert (bis auf die letzten drei Semester, die ich wegen meinem Burnout abbrechen musste). Mir fiel auf, dass das Gelehrte nichts, rein gar nichts, mit der Praxis zu tun hatte. Diese Beobachtung konnte ich später auch in meiner Ausbildertätigkeit wiederholen, wo ich den Auszubildenden erklären musste, warum sie das, was in der Berufsschule gelehrte wurde, so im Unternehmen nicht anwenden konnten.
Wie viele andere auch, habe ich mir ein umfangreiches Wissen in der Praxis erworben. Da ich außerdem noch zu den Menschen gehöre, die ständig und überall Wissen aufsaugen, habe ich ein riesiges Know How angehäuft.
Trotzdem waren mir einige "Karrierewege" versagt. Rein inhaltlich habe ich nichts anderes oder sogar mehr gemacht als diejenigen, die studiert hatten. Aber die höhere Bezahlung, der Titel "Referent" war nicht zu erreichen. Hier ging es nicht um Wissen oder Leistung, sondern lediglich um ein Zertifikat, welches nichts, rein gar nichts über das Können, das Wissen und die Fähigkeiten eines Menschen aussagt. Da es den Nicht-Studierten nicht zugetraut wird, bleibt deren Wissen häufig ungefragt.
Ein weiteres Phänomen ist, dass wir Menschen unser Gegenüber sehr schnell einschätzen können. Wir riechen förmlich, wenn uns jemand gefährlich werden könnte. Wenn dieser mehr Wissen hat, als wir selbst. Wenn dieser bessere Ideen hat. Entweder stellen wir ihn dann gar nicht erst ein oder halten ihn ganz bewusst klein, damit wir unsere Position behalten können. Neid, Gier, Ängste, Machtkampf sind die destruktiven Kräfte in den meisten Unternehmen. Sie basieren auf den willentlichen Unterschieden, die künstlich erzeugt werden.
Auch der Mitarbeiter und die Mitarbeiterin durchschaut unbewusst die Energie der Führungskräfte und weiß, ob diese an neuen Ideen, Wissen interessiert ist. Sie werden entsprechend darauf reagieren. Es gibt drei Möglichkeiten: Kämpfen, flüchten oder erstarren. Am Anfang versuchen neue Mitarbeiter noch, sich einzubringen und sind noch bereit, dafür auch zu "kämpfen". Ihr Engagement lässt mit der Zeit nach, wenn es ungehört verhallt. Nachdem der Kampf nichts gebracht hat und Flucht meistens nicht möglich ist, bleibt nur noch die Erstarrung. Damit wären wir wieder bei den erstarrten Unternehmen, die sich nicht mehr bewegen können. Da hilft es auch nicht, eine Wissensdatenbank anzulegen! Es ist keiner mehr da, der bereit wäre, sie zu füttern. Oder die Inhalte sind so uninteressant, dass sie dem Unternehmen nichts bringen.
Wissen ist Macht! Diese Macht hält jeder Einzelne in der Belegschaft. Selten wird sie systematisch und sinnstiftend genutzt. Meist verhindern persönliche Interessen, Animositäten, Ängste von Mitarbeitenden und Führungskräften die Entfaltung von Wissen im Unternehmen. Unternehmensstrukturen und alte Denkweisen lassen die Unternehmen in sich erstarren. Kreativität und Ideen bleiben ungenutzt. Wer das Unternehmen verlässt, nimmt sein Wissen, seine Erfahrungen und seine Fähigkeiten mit. Jeder Nachfolger muss diesen Wissensverlust erst einmal kompensieren. Das ist in Gänze nie möglich, so dass Wissen regelmäßig aus den Unternehmen fließt oder ungenutzt bleibt.
Auch Versuche wie Wissensdatenbanken bleiben nutzlos, da sie auf den Dynamiken im Unternehmen aufbauen.
Erst wenn Unternehmen diese Dynamiken und alte Denkweisen verändern, können hier ungeahnte Potentiale freigelegt werden.