In einer Zeit, in der Unternehmen zunehmend mit Umsatzeinbußen, hohen Energiekosten, hohen Krankenständen, einer steigenden Anzahl von Burnout-Fällen, Fluktuation und einem eklatanten Fachkräftemangel zu kämpfen haben, suchen Unternehmer nach nachhaltigen Lösungen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Manche Kosten, wie Energiekosten, bedürfen sicherlich einer gesonderten Betrachtung. Aber Kostenblöcke, die aufgrund von hohen Krankenzahlen und Fluktuation entstehen, sind lösbar und können nachhaltig reduziert werden. Allerdings bedarf es neuer Lösungen, da die bisherigen Ansätze offensichtlich keine Erfolge bringen. Denn die Zahlen sind in den letzten Jahren erneut gestiegen.
Eine solche Lösung, die in letzter Zeit an Bedeutung in Unternehmen gewonnen hat, ist das Konzept der Selbstführung.
Dieser Artikel beleuchtet, was Selbstführung bedeutet, bietet Beispiele, wie Selbstführung im Unternehmenskontext aussehen kann, und präsentiert Handlungsideen für die Einführung von Selbstführung in traditionell hierarchisch strukturierten Unternehmen.
Selbstführung ist zunächst einmal die Fähigkeit einer Person, sich selbst (intrinsisch) zu motivieren, Ziele zu setzen und diese eigenständig zu erreichen. Es geht darum, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, persönliche Ressourcen effektiv zu nutzen und sich selbst kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Im Vergleich: In traditionell hierarchischen Unternehmen
Selbstführung ist ein Konzept, das weit über das einfache Selbstmanagement hinausgeht. Es umfasst die Fähigkeit einer Person, die eigenen Emotionen, Gedanken und Verhaltensweisen bewusst zu steuern (Glaubenssätze und Verhaltensmuster sind bewusst) und in Einklang mit persönlichen und beruflichen Zielen zu bringen. In einem Unternehmenskontext transformiert Selbstführung die Art und Weise, wie ArbeitnehmerInnen ihre Aufgaben, Verantwortlichkeiten und ihre Entwicklung innerhalb der Organisation verstehen und angehen. Dieses Konzept basiert auf drei zentralen Säulen:
Selbstwahrnehmung: Das Fundament der Selbstführung bildet die Selbstwahrnehmung. Sie ermöglicht es Individuen, ihre Stärken und Schwächen, ihre Werte, Überzeugungen und Motivationen zu erkennen. Diese tiefe Selbstkenntnis ist entscheidend, um authentische Ziele zu setzen, die nicht nur mit den Unternehmenszielen, sondern auch mit den persönlichen Werten und Bestrebungen übereinstimmen.
Dies kann gefördert werden, wenn im Unternehmen geschützte Räume geschaffen werden, in dem sowohl die sozialen, als auch die professionellen Masken abgelegt werden können. Authentizität führt dazu, dass Menschen wieder alle ihre Anteile integrieren und leben können. Damit werden innere Konflikte, Werteverletzungen, Motivationsschwierigkeiten überwunden. Der Stress, der durch die Abspaltung "unprofessioneller und unsozialer" Anteile entsteht, wird so reduziert, dass viele Krankheiten gar nicht mehr ausbrechen müssen.
Selbstregulation: Auf der Selbstwahrnehmung aufbauend, umfasst die Selbstregulation Techniken und Strategien, um die eigenen Ressourcen effizient zu nutzen, Prokrastination zu überwinden, resilientes Verhalten in herausfordernden Situationen zu zeigen und konstruktive Gewohnheiten zu etablieren. Selbstregulation befähigt MitarbeiterInnen, eigeninitiativ zu handeln, Prioritäten zu setzen und adaptiv auf Veränderungen zu reagieren.
Diese Fähigkeit wurde in vielen Unternehmen vollständig abtrainiert, weil die Strukturen und Arbeitsbedingungen eine Selbstregulation nicht zulassen. Je mehr Freiheit ein Unternehmen seinen Angestellten gibt, umso mehr diese wirkliche Selbstverantwortung an den Tag legen müssen, umso mehr wird sich auch die Selbstregulation wieder einstellen.
Selbstmotivation: Die dritte Säule der Selbstführung ist die Fähigkeit zur Selbstmotivation. Sie bezieht sich auf die Kunst, sich selbst anzutreiben und für die Erreichung der gesetzten Ziele zu engagieren, auch in Zeiten der Unsicherheit oder des Rückschlags. Selbstmotivation ist eng verbunden mit einer positiven Einstellung, dem Setzen von sinnvollen, herausfordernden Zielen und der Fähigkeit, Sinn und Erfüllung in der Arbeit zu finden.
Sinn und Erfüllung ist kein Teil der erfolgs- und effizienzorientierten Unternehmenswelt. Die Selbstmotivation, die beim Einstieg in das Unternehmen noch vorhanden ist, wird im Laufe der Zeit durch Dienst nach Vorschrift und Folgen von Anweisungen ersetzt. Das ist auch der Grund, warum es viele Unternehmen mit Anreizsystemen und zahlreichen Benefits versuchen. Nur wir alle wissen, dass diese keine probaten Mittel sind. Sie verlieren schneller ihre Wirkung, als sie gebraucht haben, etabliert zu werden.
Im Unternehmenskontext erweitert Selbstführung die Perspektive von traditionellen Führungsmodellen, die vorrangig auf externer Motivation und Kontrolle basieren, hin zu einem Modell, in dem MitarbeiterInnen als eigenständige Akteure ihrer beruflichen Laufbahn agieren. Unternehmen, die Selbstführung fördern, erkennen an, dass MitarbeiterInnen, die in der Lage sind, sich selbst zu führen, eine höhere Arbeitszufriedenheit, bessere Leistungen und eine stärkere Bindung an das Unternehmen aufweisen. Selbstführung unterstützt somit nicht nur die individuelle Entwicklung, sondern trägt auch maßgeblich zur tatsächlichen Agilität, Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Organisation bei.
Um mögliche Missverständnisse gleich aus dem Weg zu räumen: Es geht nicht darum, wie bisher agile Methoden auf die vorhandenen hierarchischen Strukturen zu setzen und weiterhin die Verantwortung bei der Unternehmensleitung und den Führungskräften zu belassen. Es geht auch nicht darum, den TOP-DOWN Ansatz weiterhin zu verfolgen.
Selbstführung bedeutet, das Unternehmen neu zu strukturieren und eine völlig neue Unternehmenskultur zu implementieren. Natürlich geht das nicht von jetzt auf gleich, nach dem Motto: "Weg und Neu" und alles ist gut. Es bedarf eines schrittweisen, nachhaltigen Wandels, in dem die ganze Belegschaft von Anfang an eingebunden wird. Die oben genannten Ansätze sind von allen zu entwickeln, die Räume zu schaffen und den Wechsel langsam zu etablieren. Selbstführung wächst, wenn man den Willen hat, ihm einen Platz zu geben, der sich entwickeln darf.
Diese Transformation hat nichts damit zu tun, was bisher als Change Management und Umstrukturierung bekannt war. Es ist eine Transformation in eine evolutionäre, neue Denkweise, die neue Regeln, neue Rollen, neue Ansätze benötigt. Dies ist möglich und es gibt bereits Unternehmen, die schon seit vielen Jahren diese neuen Organisationsmodelle unabhängig voneinander für sich passend zu ihrem Unternehmen mit ihrer Belegschaft entwickelt haben.
Jedes Unternehmen ist individuell. Die Ausprägung von Selbstführung in Unternehmen kann sehr unterschiedlich sein und sollte sich nach und nach entwickeln, um niemanden zu überfordern. Welche Ansätze könnten damit einhergehen?
Eigenverantwortliche Zielsetzung: MitarbeiterInnen definieren selbständig, basierend auf den strategischen Unternehmenszielen ihre eigenen, spezifischen Ziele und die Schritte, die zu deren Erreichung notwendig sind. Diese könnten Anfangs im BOTTOM-UP Verfahren kommuniziert werden. Noch besser wäre es, wenn es im Intranet eine Stelle gibt, an der jeder seine spezifischen Ziele den anderen MitarbeiterInnen als Information zur Verfügung stellen kann.
Flexible Arbeitsgestaltung: Teammitglieder entscheiden selbst über ihre Arbeitszeiten und -orte, solange die Leistung den Erwartungen entspricht. Es geht hier nicht mehr um den alten Ansatz Zeit für Geld. Sind wir einmal ehrlich. Manche brauchen für die gleiche Aufgabe wesentlich länger als andere. Das ist menschlich und typabhängig. Wenn jeder seine eigenen Ziele definiert und diese erreicht hat und das Ergebnis dem entspricht, was erwartet wird, warum soll dieser Mitarbeiter seine Zeit totschlagen, im Internet lesen oder ähnliches tun, nur um beschäftigt zu wirken?
Individuelle Weiterbildung: Angestellte identifizieren eigenständig Bedarf für ihre persönliche und fachliche Weiterentwicklung und suchen nach passenden Angeboten. Es kann ihnen auch pro Jahr ein bestimmtes Budget zur Verfügung gestellt werden, das sie ohne zu fragen selbständig nutzen dürfen.
Selbstführende Teams: Die Implementierung selbstführender Teams ist ein wesentlicher Schritt für Unternehmen, die sich in Richtung einer evolutionären, flexiblen Arbeitsumgebung bewegen möchten. Selbstführende Teams operieren auf der Grundlage von Autonomie und gegenseitigem Vertrauen, wobei Entscheidungsfindung, Problemlösung und Aufgabenverteilung innerhalb des Teams selbst organisiert werden. Um diesen Übergang erfolgreich zu gestalten, müssen Sie als Unternehmen anfangs eine klare Vision und Leitlinien vorgeben, die den Rahmen für Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit abstecken. Später werden die Visionen und Leitlinien immer wieder auf den Prüfstand gestellt, um auch hier die Möglichkeit der Weiterentwicklung zu unterstützen.
Die Führungskraft wandelt sich vom Anweiser und Kontrolleur zum Facilitator, der Ressourcen bereitstellt, Unterstützung bietet und anfangs für die Einhaltung der übergeordneten Unternehmensziele sorgt. Später finden Führungskräfte eine neue Rolle innerhalb des selbstführenden Teams.
Eine offene Kommunikationskultur, eine klare Meetingkultur, regelmäßiges Feedback und fortlaufende Schulungen sind entscheidend, um die Teams in ihrer Entwicklung zu begleiten und sicherzustellen, dass alle Mitglieder die notwendigen Kompetenzen für diese neue Arbeitsweise besitzen. Wichtig ist vor allem die Einführung einer gesunden Konfliktkultur, da diese in den meisten traditionellen Unternehmen nicht existent ist. Sie ist aber ein essentieller Punkt, da auch in solchen Organisationsformen Menschen und damit Konflikte aufeinandertreffen.
Das Ziel: Selbstführende Teams im Unternehmen manifestieren sich als dynamische Gruppen, die Eigeninitiative, Entscheidungsfreiheit und Verantwortung nicht nur tragen, sondern auch aktiv gestalten. In solchen Teams werden Ziele gemeinsam definiert, Ressourcen eigenständig verwaltet und Projekte ohne direkte Anweisungen von oben erfolgreich zum Abschluss gebracht. Die Mitglieder dieser Teams nutzen ihre individuellen Stärken und Fähigkeiten, um kollektive Lösungen zu entwickeln, wobei der Fokus stets auf dem Teamerfolg und nicht auf Einzelleistungen liegt. Durch Beratungsprozesse (kein Konsens-Verfahren), regelmäßige Selbstreflexion und Feedbackschleifen verbessern sie kontinuierlich ihre Arbeitsweise. Selbstführende Teams fördern eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens, in der Fehler als Lernchancen begriffen werden.
Die Einführung selbstführender Teams fördert nicht nur die echte Agilität und Innovationsfähigkeit des Unternehmens, sondern steigert auch die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung, indem sie den Teammitgliedern ermöglicht, ihr volles Potenzial zu entfalten. Es entwickelt sich Sinn und Erfüllung. Wenn die Seele der Menschen zurück in die Unternehmen kehrt, kommt es alleine zu mehr Engagement, Leistungswillen, Gesundheit und steigenden Umsätzen und verbesserter Kundenzufriedenheit.
Selbstführung ist nur ein Teil der ganzen möglichen Transformation. Es ist wichtig, diesen Prozess schrittweise zu gehen. Je nachdem, wo sich Ihr Unternehmen gerade befindet, sehen die Einstiegsvarianten unterschiedlich aus. Grundsätzlich sind drei Punkte nennenswert, die den Einstieg, aber auch die Fortsetzung unterstützen:
Schulung und Workshops: Um ein Verständnis für Selbstführung zu schaffen, sind Schulungen und Workshops für MitarbeiterInnen und Führungskräfte essentiell. Wer sich noch nicht mit Selbstführung beschäftigt hat, beginnt damit, diesen Begriff innerhalb der Belegschaft zu definieren. Wer schon erste Berührungspunkte damit hat, prüft, ob eine passende Konflikt-, Meeting-, Informations- und Selbstführungskultur existiert. Erst, wenn das Fundament liegt, wird darauf aufgebaut. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man schnell wieder in alten Verhaltensweisen landet und das neue Konstrukt zusammenbricht.
Anpassung der Unternehmenskultur: Eine Kultur des Vertrauens, der Offenheit und der Wertschätzung ist grundlegend, um Selbstführung zu ermöglichen. Die Schwierigkeit ist, dass die Unternehmenskultur oft nicht dem entspricht, was auf dem Papier entwickelt wurde. Hier ist es essentiell, dass innerhalb der Unternehmenskultur auch eine Feedback-Kultur entwickelt wird, die es MitarbeiterInnen erlaubt, jeden anderen darauf aufmerksam zu machen, wenn etwas nicht klar ist, nicht wie vereinbart verfolgt wird oder wenn etwas so nicht gelebt werden kann und angepasst werden muss. Hierzu bedarf es Möglichkeiten, dies zu kommunizieren.
Strukturelle Anpassungen: Die Einführung von erst einmal flacheren Hierarchien und transparenten Kommunikationswegen unterstützt die Selbstführung. Ziel ist es, die Hierarchien komplett abzubauen, was aber anfangs über ein Übergangsstadium erleichtert werden kann. Wichtig ist vor allem die Informationstransparenz, die in vielen Unternehmen nicht gegeben ist. Woran sich viele Unternehmer und Führungskräfte gewöhnen müssen, ist, dass alle Informationen allen zugänglich sein müssen, damit auch jeder selbstführend agieren kann. Bitte haben Sie keine Angst davor, dass MitarbeiterInnen mit diesen Informationen nicht umgehen können. Es ist besser, Krisen ins Auge zu sehen, als diese erst zu erfahren, wenn es schon zu spät ist. Sie verpassen vor allem kollektives Wissen, was Ihnen möglicherweise hätte weiterhelfen können, wenn Sie es früh genug abgerufen hätten.
Die Implementierung von Selbstführung kann für Unternehmen zahlreiche Vorteile bringen:
Selbstführung bietet einen vielversprechenden Ansatz für Unternehmen, um den aktuellen Herausforderungen wie Umsatzeinbußen, Krankenständen, Burnout, Fluktuation und Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Durch die Einführung und Förderung von Selbstführung können Unternehmen eine resiliente, motivierte und zufriedene Belegschaft aufbauen, die in der Lage ist, sich den ständig wandelnden Anforderungen des Marktes anzupassen. Als Unternehmer, der nach Lösungen sucht, ist es an der Zeit, die Weichen für eine zukunftsfähige, mitarbeiterzentrierte Unternehmenskultur zu stellen, die nicht nur das Wohlergehen der MitarbeiterInnen im Blick hat, sondern auch den langfristigen Erfolg des Unternehmens sichert.